Jakob Lorber

Jakob Lorber

Ein Lebensbild nach langjährigem persönlichen Umgange

von Karl Gottfried Ritter von Leitner

nebst einem Anhang beglaubigter Mitteilungen über Lorber, entnommen den schriftlichen Aufzeichnungen einer Zeitgenossin

mit Leitners Lebensskizze und einigen erläuternden Anmerkungen

1924, Verlag Leykam in Graz

Wortgetreue Abschrift in neuer Rechtschreibung

Die vorliegende Lebensbeschreibung Jakob Lorbers ist nach K. G. R. v. Leitners nachgelassener Handschrift wortgetreu wiedergegeben. Diese Handschrift wurde von dem greisen Dichter etwa in dessen 84. Lebensjahre aufgezeichnet. Die gedruckten Werke Lorbers, welche sich alle in Leitners Nachlasse befanden, sind nach dessen Tode, wie er es verfügt hat, der Landesbibliothek am Joanneum in Graz zugekommen und derem Bücherbestande einverleibt worden. Sie enthalten auch einzelne kleine Verbesserungen des Textes von Leitners eigener Hand.

Graz, im Christmonat 1923. D. H.

Jakob Lorber, der steiermärkische Theosoph

Jakob Lorber

Der merkwürdigste Mann, welchen ich in meinem ganzen langen Leben kennen gelernt habe, ist Jakob Lorber, ein Theosoph, der den berühmtesten Männern dieser Richtung zur Seite gestellt zu werden verdient. Ich will es nun versuchen, in folgendem einen kurzen, aber auf verlässlichen Grundlagen beruhenden Abriss seines äußeren Lebens zu entwerfen und demselben als vieljähriger Augen- und Ohrenzeuge eine wahrheitsgetreue Darstellung der außerordentlichen Erscheinungen im Gebiete seines Seelenlebens beizufügen.

Die Familie Lorbers findet man schon im 17. Jahrhundert in den Windischen Büheln der unteren Steiermark, und zwar die zwei Vettern Kaspar und Paul Lorber schon 1631 als Insassen auf dem Hügel Gradiše, welcher im Urbar der gräflich Stubenbergschen Herrschaft Mureck „Purgstallberg“ genannt wird. Diese traten ihr Eigentum der Pfarrgemeinde St. Leonhard zum Baue einer Kapelle ab, welche bald darauf in eine Wallfahrtskirche zur heiligen Dreifaltigkeit umgestaltet wurde. Nicht sehr fern von dort, in der Gemeinde Kanischa der Pfarre Jahring, besaß Lorbers Vater Michael, verehelicht mit Maria Tautscher, einer Wendin, die beiden Bergholden-Gründe Nr. 4 und 5. Michael Lorber bewirtschaftete diese selbst und bezog aus den Erträgnissen hauptsächlich die Mittel zum Unterhalte seiner Familie. Er verstand aber auch, die meisten musikalischen Instrumente fertig zu spielen und behandelte insbesondere das Zimbal mit Meisterschaft, so dass ihm mehrmals die Auszeichnung zuteil wurde, sich vor dem erlauchten Freunde volkstümlicher Weisen, dem allverehrten Erzherzog Johann von Österreich, wenn dieser zur Weinlese auf seiner Besitzung in Pickern verweilte, mit seinem vorzüglichen Spiele auf diesem Instrumente hören zu lassen. Diese vielseitige musikalische Geschicklichkeit gab ihm auch Gelegenheit zu einem willkommenen Nebenerwerbe, welchen er insbesondere darin fand, dass er sich der damals unter dem Namen „Schwarzenbacher“ in ganz Steiermark und darüber hinaus wohlbekannten und sehr beliebten Musikergesellschaft anschloss und deren Produktionen als Kapellmeister leitete.

Ungeachtet ihrer Schlichtheit verkannten die Lorberschen Eheleute den Wert einer höheren Bildung mitnichten und scheuten kein Opfer, um ihre Söhne, deren sie drei hatten, im Streben nach derselben, soweit es ihre Kräfte gestatteten, werktätig zu unterstützen. Michael, der Zweitgeborene, erwählte nach Vollendung seiner Studien eine juridische Laufbahn, zunächst als Herrschaftsverwalter und dann als Notarssubstitut; Josef, der Jüngste, widmete sich dem Lehrstande, und Jakob, der Älteste aus ihnen, ist eben der, dessen denkwürdige Erscheinung die folgenden Blätter zu schildern versuchen.

Jakob Lorber, am 22. Juli 1800 auf dem Heimsitze seiner Eltern geboren, brachte dort auch die Jahre seiner Kindheit zu, indem er dort an deren ländlichen Beschäftigungen teilnahm. Er war bereits ein Knabe von neun Jahren, als er die Dorfschule in Jahring zu besuchen begann und dort den ersten Unterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen erhielt. Er zeigte hierbei regen Eifer und überhaupt große Wissbegierde, nebstbei aber auch schon früh große Vorliebe für die Musik, in deren Anfängen ihn ursprünglich der Vater selbst unterrichtete. Eine seltene Befähigung zu diesem Kunstfache trat eines Tages auffällig hervor, als der Vater ihn in die nahegelegene Kreisstadt Marburg au der Drau mit sich nahm und dort im Gasthause „Zum Lamm“ einkehrte.

Sie trafen nämlich dort in der Schankstube einen dem Wirte verwandten blinden Mann, welcher zur Ergötzung der ihn anstaunenden Gäste vortrefflich die Harfe spielte. Jakob wendete diesem sogleich seine ganze Aufmerksamkeit zu, setzte sich an dessen Seite, beobachtete jeden Handgriff des blinden Harfners und vertiefte sich ganz in dessen Spiel. Von diesem Tage angefangen ließ er nicht nach, beim Vater zu bitten, ihm auch eine Harfe zu kaufen. Letzterer erfüllte bald den Wunsch des talentvollen Knaben und obwohl dieser kaum noch ein paarmal Gelegenheit fand, den von ihm bewunderten blinden Virtuosen zu hören, um ihm die Handhabung seines Instrumentes abzuspähen, so brachte er es doch durch ausdauernd fleißige Übung in einiger Zeit dahin, sich allmählich selbst zu einem tüchtigen Harfenspieler auszubilden. Der Vater, welcher als Kapellmeister seiner wandernden Musikgesellschaft oft längere Zeit vom Hause abwesend war, überließ in der Folge den ferneren musikalischen Unterricht Jakobs dem Ortsschullehrer Anton Udl. Dieser unterwies fortan seinen gelehrigen Schüler nach und nach in der Behandlung verschiedener Instrumente, vorzugsweise aber im Violin-, Klavier- und Orgelspiel, und erzielte mit ihm nicht nur hierin erfreuliche Erfolge, sondern bemerkte bald, dass er ihn seines vorzüglichen musikalischen Gehörs wegen auch als Gehilfen bei seinem Nebengeschäfte des Stimmens und Ausbesserns von Orgeln trefflich gebrauchen könne, und er verwendete ihn daher durch längere Zeit nebenher auch in dieser Weise.

So war Lorber zum Jüngling herangewachsen, und dem unbestimmten Drange nach höherer geistiger Ausbildung folgend, nahm er im Sommer 1817 von der Heimat Abschied, um nach der nur etwa zwei Meilen entfernten Stadt Marburg zu wandern und dort die Vorbereitungsanstalt für Volksschullehrer zu besuchen. Nachdem er diesen Kurs zur Zufriedenheit vollendet hatte, trat er zuerst zu St. Egydi als Lehrergehilfe in den Schuldienst und übersiedelte bald darauf in gleicher Eigenschaft nach St. Johann im Saggautale. Hier wendete ihm ein Kaplan der Pfarre, der im täglichen Verkehre mit ihm dessen ungewöhnliche Fähigkeiten bemerkt hatte, sein besonderes Wohlwollen zu, erteilte ihm einigen Unterricht in der lateinischen Sprache und eiferte ihn an, sich dem Priesterstande zu widmen und zu diesem Zwecke die Studienlaufbahn zu betreten.

Diesem Rate Folge leistend, kehrte Lorber im Herbste 1819 wieder nach Marburg zurück und ließ sich im dortigen Gymnasium als Schüler einschreiben. Da er seinen Mitschülern schon im Alter voraus und von ernsterem Benehmen war, ernannte man ihn bald zum Famulus der Klasse, als welcher er eine gewisse Aufsicht über die anderen Studierenden zu pflegen und zugleich gewisse kleine Verrichtungen in der Schule zu leisten hatte, wofür er monatlich eine kleine Gebühr bezog. Außerdem spielte er beim täglichen Schulgottesdienste in der Kirche auch die Orgel gegen ein mäßiges Honorar und erwarb sich auch bereits durch Erteilung von Unterricht im Violinspielen, worin er es in der Zwischenzeit schon zur Fertigkeit gebracht hatte, eine willkommene Zubuße.

Nachdem er auf diese Weise unter ziemlich befriedigenden Lebensverhältnissen fünf Gymnasialklassen mit vorzüglichem Fortgange vollendet hatte, begab er sich, teils um seine Studien fortzusetzen, teils um sich im Violinspiele noch weiter zu vervollkommnen, im Herbste 1824 nach der Landeshauptstadt Graz und setzte hier seine Gymnasialstudien als Privatschüler der sechsten Klasse fort. Allein die Schwierigkeit, in einer großen, ihm ganz fremden Stadt hinlänglichen Lebensunterhalt zu finden, sowie der Umstand, dass es ihm dadurch auch erschwert wurde, in seinen Studien jene hervorragende Stellung, die er unter seinen Mitschülern bisher eingenommen hatte, auch ferner zu behaupten, verleidete ihm das weitere Studieren so sehr, dass er im zweiten Halbjahre das Gymnasium verließ und zunächst sein Fortkommen als Hauslehrer suchte. Er übernahm eine solche Stelle bei einer sehr achtbaren Privatfamilie in Graz und unterrichtete deren Kinder durch fünf Jahre zur vollsten Zufriedenheit in den deutschen Schulgegenständen, in der Musik und im Zeichnen, worin er sich als Autodidakt ebenfalls eine gewisse Fertigkeit eigen gemacht hatte. Allein bei aller Wertschätzung, die er bei dieser Familie fand, fühlte er doch das Bedürfnis, sich auch für die spätere Zukunft eine gesicherte Stellung im Leben zu gründen. Er besuchte deshalb im Jahre 1829 den höheren pädagogischen Kurs für Lehrer an Hauptschulen und erwarb sich bei dieser Bildungsanstalt ein ihn als Lehrer „ganz und wohl“ empfehlendes Schulzeugnis. Als aber 1830 seine erste Bewerbung um eine Anstellung als Lehrer nicht gleich zum gewünschten Ziele führte, gab der leicht Entmutigte diesen Lebensplan wieder und für immer auf.

Er verlegte sich ganz auf die Musik, gab Unterricht im Gesange, sowie im Klavier- und Violinspiel und komponierte auch einige Lieder und Konzertstücke. Dadurch kam er mit dem rühmlichst bekannten Tonsetzer Anselm Hüttenbrenner in Verkehr, der als Gutsbesitzer in Graz lebte und zu jener Zeit dem Steiermärkischen Musikverein als Direktor Vorstand. Dieser verschaffte ihm auch Gelegenheit, in Konzerten des letzteren mit seinem Violinspiele vor dem Publikum sich hören zu lassen und nahm einige von dessen Kompositionen in das von ihm redigierte Musikalische Pfennigmagazin auf. Als Paganini 1828 das kunstliebende Wien mit seinen außerordentlichen Kunstleistungen auf der Violine in Begeisterung versetzte, eilte auch Lorber dahin, um dessen bezauberndes Spiel selbst zu hören, und war so glücklich, ihn persönlich kennen zu lernen, ja sogar von ihm ein paar Stunden des Unterrichts zu erhalten. Von nun an war für die nächste Periode seines Lebens Paganini das Ideal, welchem er mit rastlosem Eifer nachstrebte und zu dessen lithographiertem Bildnis, das er stets in seiner Stube hängen hatte, er oft mit einer Art von Andacht emporblickte. Aber auch mit anderen Virtuosen auf seinem Lieblingsinstrumente, der Geige, kam Lorber um jene Zeit in Berührung. Ernst, der nach seinen Produktionen in Wien auch in Graz Konzerte gegeben und Lorber kennen gelernt hatte, stand nachher noch längere Zeit mit ihm im Briefwechsel, Vieuxtemps besuchte ihn bei ähnlicher Gelegenheit in seinem bescheidenen Stübchen, und auch mit seinem Landsmann, dem Violin-Konzertisten Eduard Jäll, machte und unterhielt er Bekanntschaft.

Allmählig fand Lorbers Violinspiel auch in den öffentlichen Blättern immer mehr Anerkennung. Als er im Oktober 1839 im Rittersaale des Landhauses ein Konzert gegeben und darin den ersten Satz eines Beriotschen Konzertes und eine von ihm selbst komponierte Bravour-Arie über ein beliebtes Volkslied vorgetragen hatte, äußerte sich das damalige Beiblatt zur „Gratzer Zeitung“ „Der Aufmerksame“ in Nr. 129 über sein Künstlertum in folgender Weise: „Herr Lorber ist kein Violinist, der sich in den Schranken irgend einer Schule bewegt; er ist ganz Autodidakt. Der technische Teil seiner Kunst besteht eigentlich nur in einer sorgfältigen Nachahmung der Paganinischen Art und Weise, zu spielen. Unstreitig ist er mit mehr als gewöhnlichem Talente ausgerüstet und bewunderungswürdig ist die Kunstfertigkeit, zu welcher Herr Lorber durch den unermüdlichen Fleiß und eine eigentümliche Anwendung seiner musikalischen Naturgabe es gebracht hat. Mit Staunen sehen wir ihn Schwierigkeiten überwinden und selbst Wagstücke bestehen, an deren Ausführbarkeit wir zweifeln würden, wenn wir nicht durch Lorbers fast immer siegende Verwegenheit eines andern belehrt wären. Er tötet und belebt mit einem Bogenstreich 120 bis 160 Notenköpfe; seine Staccatos sind wunderschön, und die Triolen, Doppelpässe, Flageoletts, Pizzicatos mit einer Hand und sonstige Bravoursätze führt er sehr leicht und auch oft ziemlich rein aus; aber, indem er sich eben in das Ungewöhnliche verliert, geschieht es auch zuweilen, dass die in seinem Spiele darein gedrängten Schwierigkeiten von so wunderlicher Art, auch mit so unmelodischer Bizarrerie zusammengestellt und in so phantastischer Überladung angehäuft sind, dass man vor lauter Schwierigkeiten und Dissonanzen gar nichts anderes zu hören bekommt und von Ton, Melodie, Ausdruck und folglich wahrem Genusse des Zuhörers gar keine Rede mehr ist. Das Studium und die Beharrlichkeit des Herrn Lorber, so Ungewöhnliches zu Tage zu fördern, verdienen allerdings gerechte Anerkennung, wieviel williger aber und ungeteilter würde man ihm den herzlichsten Anteil zuwenden, wenn er sein bedeutendes Talent statt dem bloß Schweren, dem wahrhaft Schönen, dem auf die Länge doch allein nur Lohnbringenden, gewidmet hätte. Die Aufnahme des Konzertgebers von Seite des Publikums war auszeichnend und dennoch dem eigenen Verdienste des Herrn Lorber angemessen.“ Lorber ließ sich durch solche wohlmeinende Mahnungen der Kritik nicht einschüchtern, sondern vielmehr nur zu verdoppeltem Eifer in seinem Kunststreben anspornen. Als er zehn Jahre später bei einem Wohltätigkeitskonzerte mitwirkte und ein Rondo und eine Mazurka von seiner eigenen Komposition mit seltener Bravour vorgetragen hatte, konnte das damalige Lokalblatt „Aurora“ (Mai 1849, Nr. 36) zu der verdienten Anerkennung seines Staccatos und Flageoletts auch bereits die Bemerkung beifügen, dass er nicht nur in Paganinischen Bogenkünsten und sogenannten musikalischen Seiltänzereien enorme Fortschritte gemacht, sondern sich auch Schönheit und Fülle des Tons in erfreulicher Weise angeeignet habe.

In der Folge trat er auch mit örtlichen Zeitschriften in nähere Verbindung und lieferte für dieselben, vorzugsweise für den damals in Graz erschienenen „Telegraph“, Berichte über Aufführungen von Opern und Konzerten.

Obwohl Lorber somit in diesem Zeitraume sein musikalisches Streben als seine Hauptaufgabe betrachtete, so füllte selbes doch das Bedürfnis seines Innern nicht vollends aus. Besonderes Interesse hegte er auch für die Astronomie. Zwar mangelte ihm, um dieselbe wissenschaftlich betreiben zu können, eine gründliche Kenntnis der Mathematik, aber bei seinem mächtigen Drange nach höherer Erkenntnis zog ihn doch die hehre Tiefe des gestirnten Himmels von jeher unwiderstehlich an. Er suchte daher mittels einer künstlichen Steigerung seines Sehvermögens in die Geheimnisse des Weltbaues gleichsam mechanisch einzudringen und verfertigte sich dazu anfänglich selbst einen großen, freilich ziemlich primitiv geratenen, jedoch ganz brauchbaren Tubus, und er war später auch so glücklich, in den Besitz eines guten Fernrohres von Steinheil zu gelangen. An heiteren Sommerabenden, oft auch erst spät, in sternhellen Nächten, wanderte er, seinen Tubus an einem Bande zur Seite hängen habend, mit einem oder dem andern seiner Freunde, vor die Stadt hinaus und stellte jenen auf der freien Fläche des Glacis oder noch lieber auf der aus der Mitte der Stadt aufragenden Felsenhöhe des Schloßberges auf. Hier betrachtete er dann selbst und wies auch seinen Begleitern mit immer erneutem Interesse auf den narbenvollen Mondball, den Jupiter mit seinen Trabanten, den Saturn mit seinem Lichtringe, die übrigen Planeten und den sich wunderbar auftuenden neuen Sternenhimmel von Myriaden leuchtender Weltkörper, zu welchen sich die Milchstraße und die Nebelflecke vor dem Objektivglase seines Tubus in das Unendliche auseinanderbreiteten. Gern gewährte er den Genuss dieses erhabenen Einblickes in die Unermesslichkeit des Weltalls auch jedem vorüberwandelnden Spaziergänger, der etwa neugierig an sein Instrument herantrat, und er empfand stets eine genugtuende Freude, wenn es der fremde Schaugast dann mit der Miene oder wohl gar mit einem Worte frommer Bewunderung dankend wieder verließ.

Wie sich auf diese Weise sein Bestreben, in das großartige Gebiet der materiellen Schöpfung einzudringen, lebhaft geltend machte, so entwickelte sich andererseits in ihm allmählich auch das unwiderstehliche Verlangen, auch den Weg zu den geheimen Schätzen der geistigen Welt zu finden und müsste er denselben auch jenseits der Grenzen des gewöhnlichen allgemeinen Erkenntnisvermögens aufsuchen. So fühlte er sich dann auch zur Lektüre von Werken hingezogen, die seiner tiefen Innerlichkeit entsprachen und nun las er, soweit ihm sein Broterwerb Muße gewährte, manche Werke von Justinus Kerner, Jung Stilling, Swedenborg, Jakob Böhme, Johann Tennhardt und J. Kerning — eigentlich Krebs —, von denen er insbesondere letzteren als denjenigen bezeichnete, dessen Schriften ihm wichtige Fingerzeige gegeben haben. Er machte aber aus solcher Lektüre, die sich überhaupt nur auf einzelne Schriften der erwähnten Autoren beschränkte, kein eigentliches Studium, was überhaupt seine Sache nicht war, sondern legte derlei Werke wieder beiseite und behielt nur die Bibel immer zu Handen. Aber auch aus dem Lesen dieser machte er kein tägliches Geschäft, vielmehr langte er auch nach dem Buche der Bücher nur, wenn ihn eben ein äußerer Anlass oder ein innerer Antrieb dazu bestimmte.

Bei all dieser Hinneigung zur Erforschung der tiefsten Geheimnisse ernstester Art blieb Lorber aber von aller Kopfhängerei stets weit entfernt, vielmehr war und blieb er im täglichen Umgange immer ein heiterer Gesellschafter, nur dass sich, wie er später mitteilte, um diese Zeit bei ihm allmählig bedeutungsvolle Träume einstellten, deren ihm wichtiger scheinende er fortan aufzuschreiben anfing.

Lorber war nun bereits in das vierzigste Lebensjahr vorgerückt, ohne sich eine feste Stellung im Leben errungen zu haben. Nun ging ihm aber aus Triest unerwartet die Einladung zu, unter recht annehmbaren Bedingungen dort eine zweite Kapellmeisterstelle zu übernehmen. Er ging darauf ein und traf alle Vorbereitungen zur Abreise; allein, sein Leben sollte eben jetzt plötzlich eine ganz andere Richtung nehmen.

Er hatte am 15. März 1840 um 6 Uhr morgens — so erzählte er nachher seinen Freunden — gerade sein Morgengebet verrichtet und war im Begriffe, sein Bett zu verlassen, da hörte er links in seiner Brust, an der Stelle des Herzens, deutlich eine Stimme ertönen, welche ihm zurief: „Steh' auf, nimm deinen Griffel und schreibe!“ — Er gehorchte diesem geheimnisvollen Rufe sogleich, nahm die Feder zur Hand und schrieb das ihm innerlich Vorgesagte Wort für Wort nieder. Es war dies der Eingang des Werkes: „Geschichte der Urschöpfung der Geister- und Sinneswelt, sowie der Urpatriarchen oder Haushaltung Gottes", und der erste Satz desselben lautete: „So sprach der Herr zu mir und in mir für jedermann, und das ist wahr und getreu und gewiss."

Lorber lehnte nach diesem Ereignisse die ihm angebotene Anstellung unverzüglich ab und diente dieser mysteriösen Einflüsterung von derselben Stunde angefangen durch eine Reihe von vierundzwanzig Jahren und bis zu seinem Tode als emsiger Schreiber, indem er sich demütig einen Knecht des Herrn nannte.

Er begann dieses Schreibgeschäft, welches von nun an die Hauptaufgabe seines Daseins blieb, fast täglich schon morgens vor dem Frühstück, welches er in seinem Eifer nicht selten ganz unberührt stehen ließ. Dabei saß er, meistens mit einer Mütze auf dem Kopfe, an einem kleinen Tischchen, im Winter knapp neben dem Ofen, und führte ganz in sich gekehrt mäßig schnell, aber ohne je eine Pause des Nachdenkens zu machen oder eine Stelle des Geschriebenen zu verbessern, ununterbrochen die Feder, wie jemand, dem von einem andern etwas diktiert wird. Zu wiederholten Malen tat er, wenn er hievon sprach, auch die Äußerung, er habe während des Vernehmens der ihm einsagenden Stimme auch die bildliche Anschauung des Gehörten. Seiner Aussage nach teile er das innerlich Vernommene aber noch leichter mit, wenn er es einem andern mündlich kundgeben konnte, und in der Tat sagte er einigen seiner Freunde einzelne Aufsätze, ja ganze Werke von mehreren hundert Schriftbogen. Dabei saß er neben dem Schreibenden ruhig vor sich hinschauend und nie in seinem Redeflusse stockend oder irgend eine Satzfügung oder auch nur einen einzelnen Ausdruck abändernd. Und wenn sein Diktieren durch Zufall auf kürzere oder längere Zeit, selbst für Tage und Wochen unterbrochen wurde, so vermochte er das bisher Geschriebene, ohne von demselben mehr als etwa die letzten Worte oder Zeilen nachgelesen zu haben, sogleich wieder bei dessen letzten Worten beginnend, im richtigen Zusammenhange gleichsam mechanisch fortzusetzen.

Nachdem Lorber mit diesem Schreibgeschäfte und dem Unterrichtgeben in der Musik vier Jahre zugebracht hatte, erhielt er im Jahre 1845 von seinen beiden Brüdern, welche sich damals, der eine als Herrschaftsverwalter, der andere als Postmeister zu Greifenburg in Oberkärnten aufhielten, die Einladung, zu ihnen zu kommen und ihnen bei der Besorgung einiger Privatgeschäfte behilflich zu sein. Da ihm die Fristung seiner Existenz in Graz, wo die Zahl der Musikmeister immer mehr zunahm, mit jedem Jahre schwieriger wurde, so entschloss er sich, diesen Antrag anzunehmen und verabschiedete sich von seinem bisherigen Wohnorte und seinen dortigen Freunden.

Er widmete sich nun der Durchführung der ihm von seinen Brüdern übertragenen Geschäfte, welche in der Beaufsichtigung einer von ihnen übernommenen Holzlieferung bestanden und ihm mitunter zu größeren oder kleineren Reisen Veranlassung gaben. Diese führten ihn damals auch nach Innsbruck, Bozen und bis nach Mailand, wo er im Theater alla Scala ein beifällig aufgenommenes Violinkonzert gab. In letzterer Stadt fand er auch Gelegenheit, eine vorzüglich gute Geige käuflich an sich zu bringen, die ihm als eine Stradivari angepriesen worden war und jedenfalls sich als ein vortreffliches Instrument bewährte, das ihm in der Folge sehr gute Dienste leistete. Während seines Verweilens in Oberkärnten bestieg er dort mehrere Hochgebirge, darunter auch den Großglockner, und nahm Skizzen dieser großartigen Gebirgsansichten mit dem Bleistifte auf, welche er später in Graz mit schwarzer Kreide ausführte; und wenn man an die Perspektive nicht strenge Forderungen stellte, so konnte man allerdings anerkennen, dass er auch zur Zeichenkunst, in welcher er nie Unterricht genossen hatte, nicht ohne Naturanlage war.

Im Jahre 1846 kehrte er, nachdem er seine Aufgabe in Oberkärnten gelöst hatte, wieder nach Graz und zu seinen früheren Verrichtungen zurück, die er nun durch mehr als ein Jahrzehnt emsig fortsetzte. Erst im Jahre 1857 entfernte er sich von dort noch einmal für einige Monate, indem er sich mit zwei vorzüglichen Meistern im Harfen- und Gitarrespiele verband und mit ihnen auf einer Rundreise in den Hauptstädten der österreichischen Kronländer Konzerte gab, bei welchen er sich auf seinem Lieblingsinstrumente, der Violine, produzierte.

Bei seiner Rückkehr nach Graz nahm er seine Tätigkeit als Musiklehrer wieder auf, blieb aber auch mit seinen bisherigen Reisegefährten noch durch einige Zeit in Verbindung und gab mit ihnen bei Reunionen an öffentlichen Orten noch zeitweilig Musikproduktionen, die vom Publikum stets mit Beifall aufgenommen wurden.

Indem Lorber auf solche Art sowohl auf seiner Rundreise in öffentlichen Konzertsälen oder auch später in der Heimat an verschiedenen Unterhaltungsorten gleichsam berufsmäßig als ausübender Musiker auftrat, verfolgte er dabei zweierlei Zwecke. Er wollte dadurch nämlich einerseits einen lohnenderen Erwerb erzielen, als sich bei dem mühsamen und dennoch spärlichen Verdienste durch Stundengeben erreichen ließ, andererseits aber gedachte er auch, gewisse Späherblicke, von welchen er sich wegen seines geheimnisvollen Schreibens misstrauisch und missgünstig beobachtet glaubte, von diesem ab und mehr auf seine musikalische Berufstätigkeit hinzulenken. Nichtsdestoweniger fühlte er sich aber doch bei diesem neuen Broterwerbe, wiewohl er mit seinen Gefährten stets nur auf einer erhöhten und reichbeleuchteten Bühne spielte, immerhin etwas gedrückt und es ist charakteristisch für seine Denkungsweise, dass er mehrmals äußerte: Gott habe ihn wohl in diese Lage versetzt, um seinen Künstlerstolz, der sich manchmal in ihm geregt habe, dadurch zu demütigen.

Zudem nahm er bald wahr, dass er durch diese Nebenbeschäftigung, wenn er gleich den Vormittag größtenteils am Schreibtische zubrachte, doch allzu sehr zerstreut und von dem, was er längst als seinen eigentlichen Lebensberuf anzusehen gewohnt war, zu sehr abgezogen werde. Er gab dieselbe daher bald wieder ganz auf und begnügte sich damit, seinen Unterhalt sich fortan lediglich durch Musiklektionen und mitunter auch durch Klavierstimmen zu verschaffen. Freilich konnte dieser Verdienst, wenngleich Lorbers Bedürfnisse überaus bescheiden waren, doch in den späteren Jahren, als er zu den damit verbundenen vielen und oft weiten Gängen schon zu gebrechlich geworden war, nicht mehr ausreichen, und da halfen dann freiwillig dargebotene Freundesgaben wohlwollend nach.

In den nun folgenden Jahren war er wieder emsig mit dem Niederschreiben des ihm gewordenen Einsagens beschäftigt, vorzugsweise mit der Aufzeichnung seines später in sieben Bänden veröffentlichten größten Werkes, des „Evangeliums Johannes“, einiger nebenher erhaltenen Erklärungen von schwierigen Bibelstellen und von bedeutungsvollen Träumen und einzelner Mitteilungen über verschiedene Angelegenheiten seiner Freunde

Nachdem er in dieser Weise das sechzigste Lebensjahr überschritten hatte, begannen seine körperlichen Kräfte, während die geistigen in ungeschwächter Tätigkeit fortwirkten, allmählig, wenn auch für seine Umgebung kaum merkbar, zu sinken und in den beiden letzten Jahren vor seinem Hinscheiden äußerte er immer häufiger Todesahnungen, achtete aber auf dieses dunkle Gefühl seiner Hinfälligkeit nicht und setzte seine gewohnte Lebensweise unverändert fort. Nur bemerkten seine Freunde an ihm eine erhöhte Reizbarkeit, das allmählige Erlöschen seiner früheren, oft hinreißenden Heiterkeit und das Vorwalten einer sehr ernsten Seelenstimmung.

Seit dem Beginne des Jahres 1864 äußerte er aber mit fester Überzeugung geradezu, er werde das Jahr 1865 nicht erleben. Bald darauf erkrankte er wirklich und musste fortan durch drei Monate das Bett hüten. War er vorher manchmal verdrossen und brach er manchmal über die Unsicherheit seiner Lebensverhältnisse in bittere Worte aus, so war er jetzt ein Muster von Geduld und frommer Ergebung; und klagte er schon manchmal noch, so war es nun weniger eine Klage über sein eigenes, als über das allgemeine Schicksal der Menschheit. Dabei wiederholte er gern einige Verse, die er einmal an einer Gartenmauer angeschrieben gefunden und im Gedächtnis behalten hatte, nämlich die Verse:

Die Sonne geht auf und geht unter
Und alles, was Tier heißt, ist munter;
Der Mensch nur, der Mensch ganz allein,
Empfindet des Lebens Mühe und Pein. —

Aber auch während er auf das Krankenlager hingestreckt lag, blieb er immer noch fähig, einem oder dem andern seiner jungen Freunde von Zeit zu Zeit manches Tiefsinnige in die Feder zu diktieren. Beim Eintritte des Frühlings erholte er sich auch wieder allmählig und man konnte wieder auf seine vollkommene Genesung hoffen, zumal er wieder sein Zimmer zu verlassen und sich im Freien zu ergehen vermochte. Er begann auch wieder in seine gewohnte Lebensweise einzulenken, erlangte aber nicht mehr seinen vorigen Gesundheitszustand, blieb vielmehr fortan schwach und behauptete immer entschiedener das Herannahen des Endes seiner irdischen Wanderschaft.

Zwei Tage, ehe dieses wirklich eintrat, befand er sich noch in einem Privathause, das er manchmal besuchte und die Hausfrau bereitete ihm ein Gericht, das für ihn eine Lieblingsspeise war. Er ließ es sich behaglich munden und sagte dann. „Das war sehr gut, aber in zwei Tagen lebe ich nicht mehr.“ — Man suchte ihm dies aus dem Sinn zu bringen, aber er blieb bei seiner Behauptung, die sich auch tatsächlich bewährte. Schon am nächsten Tage, als er nach seiner Mahlzeit nach Hause ging, befiel ihn auf der Straße ein plötzlicher Blutauswurf, den er aber doch so wenig ernst nahm, dass er abends noch seine gewöhnliche Gesellschaft besuchte. Aber schon auf dem Heimwege überfiel ihn neuerlich ein heftiges Blutbrechen, das nicht mehr aufhörte, zumal Lorber bei seiner Heimkunft, um die Nachtruhe seiner Umgebung nicht zu stören, von dieser keine Hilfe in Anspruch nahm. Am Morgen darauf fand man ihn angekleidet, mit dem Gesichte gegen die Wand gekehrt, im Bette liegen und das Bettzeug samt dem Estrich rings umher mit Blut bedeckt. Ein aus der Nähe herbeigeholter Arzt flößte ihm ein öliges Medikament ein, erklärte aber jede menschliche Hilfe bereits für vergeblich. Man schickte nun eilends in die nächste Pfarre, worauf bald ein Priester am Schmerzenslager des schwer Leidenden erschien. Da dieser aber bereits teilnahmslos dahinlag, fragte der Geistliche eine zur Pflege anwesende Anverwandte, ob Lorber wohl die Kirche besucht habe. Diese erwiderte darauf, dass dies wohl ohnehin bekannt sein müsse, indem derselbe bei Hochämtern sogar oft auf dem Musikchore uneigennützig selbst mitgewirkt habe. Hierauf fragte jener noch ernstlich, ob sie es auf ihr Gewissen nehme, wenn er den Sterbenden mit den Sakramenten versehe. Nachdem sie dies unbedenklich bejaht hatte, verrichtete der Priester ohne weiteren Anstand sein kirchliches Amt und entfernte sich dann wieder.

Sterbehaus Jakob Lorbers
Sterbehaus Jakob Lorbers

Inzwischen hatte man den intimsten Freunden Lorbers die plötzlich eingetretene Gefahr seines nahen Ablebens melden lassen, aber ein heftiger Gewittersturm, welcher eben mit allem Ungestüm losgebrochen war, verzögerte etwas das Eintreffen der Herbeigerufenen. Lorber, welcher sich wieder etwas erholt hatte, ließ nun seine Lage im Bette verändern, indem er, der durch zehn Jahre mit den Füßen gegen Westen gekehrt, der Nachtruhe gepflogen, sich in der Art betten ließ, dass nun sein Scheitel nach dieser Weltgegend gerichtet und sein Angesicht nach dem Sonnenaufgange zugewendet war.

Inzwischen waren die Freunde bei strömendem Regen herbeigeeilt und unter ihnen auch sein befreundeter Hausarzt; aber Lorber vermochte das von ihm angeordnete Heilmittel nicht mehr zu nehmen. Er lag nun einige Zeit im Schmerze dahin, dann begann er plötzlich sich, wie ein Soldat, der sich richtet, gewaltig zu strecken, nahm eine waagrechte Rückenlage ein und das Angesicht dem Sonnenaufgange zugekehrt, wurde er, während der Aufruhr der Natur außen mit Blitzen und Donnerschlägen tobte, vollkommen ruhig. Jetzt trat die Agonie ein, und nach etwa einer Viertelstunde war er sanft entschlummert und sein längst einer höheren Welt angehöriger Geist in diese heimgekehrt. (24. August 1864)

Seine entseelte Hülle wurde unter zahlreicher Begleitung, die in dem Verblichenen freilich mehr dem vielbekannten Violinvirtuosen als dem ihnen fast ganz unbekannten Theosophen die letzte Ehre erweisen wollte, auf dem Friedhofe zu St. Leonhard bei Graz zur Ruhe gelegt.

Einer seiner Freunde bezeichnete die Stätte, wo Lorber nun ruht, mit einem einfachen Denksteine, in dessen Vorderseite Name, Geburts- und Sterbetag des Hinübergegangenen, sowie die tröstlichen Worte, die Paulus im achten Verse des 14. Kapitels einst an die Römer schrieb, eingemeißelt sind. In der Folge brachten dann mehrere derselben das Eigentum dieser Grabstelle für immer an sich und ließen zu beiden Seiten des Gedächtnismales je eine Thuja pflanzen, deren deutscher Name „Baum des Lebens“ bedeutungsvoll an die lebenweckende Sendung des seltenen Geistes erinnert, der hier sein Irdisches der Erde wiedererstattet hat.

Lorbers Äußeres entsprach keineswegs der Vorstellung, die sich etwa ein Kenner seiner transzendentalen Schriften von ihm machen mochte, er war vielmehr das Gegenteil eines im Hinblicke auf diese etwa vermuteten ätherischen Wesens. Seine mehr als mittelgroße und gedrungene Gestalt hatte sogar eine gewisse Derbheit an sich. Der Kopf war ziemlich groß, die Stirne hoch und breit, die Lippen voll, alle Gesichtsformen sanft abgerundet, die Miene freundlich und die graublauen Augen von einer wohlwollenden Milde beseelt. Das braune Haar trug er gescheitelt auf den Nacken herabfallend und auf dem Kinne einen gleichfarbigen, in den letzten Jahren seines Lebens ergrauenden, meistens ungepflegten Vollbart. Wenn er sich mit seiner geliebten Violine produzierte, erschien er in tadellosem schwarzen Anzuge, für gewöhnlich aber vernachlässigte er sich in der Kleidung. Und wenn dieser unscheinbare Mann mit langsamem, etwas schwerfälligem Gange die Straße einherschritt, ahnte wohl niemand in ihm den Autor jener geheimnisvollen Kundgebungen, die schon Tausende von Druckseiten füllten, der in mehreren, auch weit entfernten Ländern — nicht so in seiner Heimat — eine Schar begeisterter Anhänger hinter sich hatte.

Lorber benahm sich im Umgange sehr bescheiden, für unsere gern ein erhöhtes Selbstbewusstsein zur Schau tragende Zeit sogar zu demütig, jedoch war er selbst noch während der Periode, da er sein ernstes Schreibgeschäft betrieb, ein guter Gesellschafter. Wenn er sein Tagewerk vollendet hatte, liebte er es, den Abend in der Gesellschaft von Befreundeten bei einem Glase heimischen Weines heiter zu verbringen.

Drehte sich das Gespräch um weltliche Dinge, so erzählte er oft die drolligsten Erlebnisse und Anekdoten, so dass sich die lachenden Zuhörer dabei auf das Beste unterhielten. Nahm das Gespräch aber bei der Anwesenheit von Gleichgesinnten eine ernstere Wendung, so war bald der tiefste Ernst und eine wahrhaft überirdische Ruhe über ihn verbreitet und die tiefsinnigsten und erhabensten Lehren und Ideen entströmten seinen beredten Lippen, so dass dabei die gespannt aufmerkenden Hörer nicht selten ein heiliger Schauer überkam. Sagte ihm jedoch die Gesellschaft in keiner Weise zu, so konnte er stundenlang, ohne ein Wort zu sprechen, teilnahmslos dasitzen. Manchmal geschah es wohl auch, dass sich Uneingeweihte, die von seinem mysteriösen Schreiben nur obenhin munkeln gehört hatten, der Abendgesellschaft seiner Freunde unliebsam beigesellten und ihn durch allerlei Sticheleien zu hänseln suchten. In solchen Fällen ließ er die Neckereien meistens unbeachtet fallen oder er wies den Spötter, wie einen, der ihn einmal fragte „Was gibt es Neues, Lorber, Sie sind ja unseres Herrgotts Kanzlist?“ mit solchem Ernste in Blick und Ton zurecht, dass jenem für die Zukunft ganz die Lust verging, ihn seines frommen Geheimschreiberdienstes wegen wieder zu verhöhnen.

Nachdem ich nun versucht habe, den äußeren Lebenslauf Jakob Lorbers nach seinen Hauptumrissen einfach zu schildern und ein möglichst ähnliches Bild seiner Persönlichkeit zu entwerfen, fühle ich mich noch im Gewissen verpflichtet, der strengen Wahrheit gemäß beizufügen, was ich von den außerordentlichen psychischen Zuständen, in denen er vierundzwanzig Jahre lebte und wirkte, selbst miterlebt habe und was ihn als eines der merkwürdigsten und höchst begabten Medien — wie den Vermittler eines Verkehres mit außerirdischen Intelligenzen zu bezeichnen, jetzt längst allgemein üblich geworden ist — unleugbar darstellt, und zwar schon vor fast vierzig Jahren und somit zu einer Zeit, wo noch niemand an die Möglichkeit eines solchen Verkehres glaubte und noch weniger jemand von dem tatsächlichen und sogar häufigen Vorhandensein derartig veranlagter Individuen eine Ahnung hatte, was in unseren Tagen schon durch Tausende von vertrauenswürdigen Zeugen unumstößlich bewährt ist.

Es ist bereits früher erzählt worden, dass Lorber am Morgen des 15. März 1840 durch eine innerlich vernehmbare Stimme berufen wurde, ihr fortan als Schreiber zu dienen. Schon am 19. oder 20. März darauf begegnete mir Lorber abends auf dem mondhellen Hauptplatze zu Graz und sagte nach freundlichem Gruße zu mir: „Eine wichtige Neuigkeit! Ich bekomme eine Offenbarung.“ Ich war damals, wie man natürlich finden wird, um den Verstand des armen neuen Propheten besorgt. Allein da ich ihn seiner tiefen Innerlichkeit wegen von jeher geachtet hatte, so nahm ich sein Anerbieten, mir seine Phantastereien, wofür ich seine Schreibereien ansah, nächstens bringen zu wollen, recht gerne an. Und schon an einem der nächsten Tage brachte er mir ein Quartblatt und drei halbe Bogen, auf welchen alles von ihm bis dahin Geschriebene bis zum Schlusse der 12. Abteilung des fünften Kapitels der „Urschöpfung der Geister- und Sinnenwelt“ enthalten war. Die Schrift war von seiner Hand zwar mitunter unorthographisch, aber sonst rein und ohne alle Stilverbesserung. Schon während Lorber mir die ersten Schriftseiten, welche Belehrungen und Ermahnungen enthielten, vorlas, machte die Einfachheit, Bedeutsamkeit und teilweise Erhabenheit dieser aphoristischen Sätze einen ungewöhnlichen Eindruck auf mich und bestimmte mich, dieser merkwürdigen Erscheinung auch ferner meine volle Aufmerksamkeit zuzuwenden. Schon am 25. März fand ich mich bei Lorber, der damals ein nach rückwärts gelegenes kleines Zimmer im ersten Stockwerke des Gasthauses „Zum weißen Kreuz“ in der sogenannten „Neuen Welt“ bewohnte, persönlich ein, um auf seine Einladung hin selbst Zeuge seiner Schreibhandlung zu sein. Bald nach mir erschien dort auch mein Freund, der Kompositeur Anselm Hüttenbrenner, welcher von Lorber zuerst in sein Geheimnis eingeweiht worden war und der von dem bisher Geschriebenen bereits für sich eine Abschrift gemacht hatte. Lorber, welchen wir schon beim Schreiben getroffen hatten, setzte nun in unserer Gegenwart ruhig fort, mäßig schnell, aber ohne auszusetzen und ohne ein Buch vor sich zu haben, ganz nur in sich gekehrt. Als er den 33. Absatz des fünften Kapitels des schon erwähnten Werkes vollendet hatte, legte er die Feder weg, nahm die Mütze vom Haupte und sagte halblaut: Deo gratias! Hierauf las er uns das Geschriebene anfangs gleichmütig vor, als er aber in der Abteilung 22 zu der Stelle kam: „Diese Träne floss aus dem Herzen der Gottheit und hieß, heißt und wird immer heißen: Die Erbarmung“, brach er in Tränen aus und vermochte das folgende vor Erschütterung nur mit Unterbrechungen zu lesen, so dass auch wir dadurch tief gerührt wurden.

Ich besuchte Lorber nun durch längere Zeit fast an jedem Tage, so oft er schrieb, und war durch ein bis zwei Stunden Zeuge seiner geheimnisvollen Beschäftigung, wobei sich Szenen seiner tiefsten Ergriffenheit, wie die eben geschilderte, wiederholt ergaben und er einmal nach Beendigung des neunten Kapitels unter rollenden Tränen ausrief: „Und da sollte man den Herrn nicht lieben?!“ Anderseits ist aber wieder eine Äußerung Lorbers merkwürdig, die ihn doch auch den eigentlichen Schreibenden annähert, indem er versicherte: am schnellsten und zugleich am richtigsten schreibe er dann, wenn er die Hand sich ganz mechanisch mit der Feder fortbewegen lasse.

Es ereignete sich auch, dass er dies von ihm Niedergeschriebene selbst unrichtig auffasste oder ein einzelnes Wort darin nicht verstand. So geschah es am 26. Mai 1840. Er hatte damals über die Anfrage eines Freundes, wie man die Propheten lesen soll, eine kurze Belehrung zu Papier gebracht, welche dahin lautete, man müsse dazu ein starkes Vergrößerungsglas nehmen. Wir, seine Freunde, vermochten aber nicht uns diese offenbar symbolische Rede gehörig auszulegen. Lorber meinte sofort, unter diesem Vergrößerungsglase habe man die Gnade Gottes zu verstehen. Wir wendeten ihm darauf ein, der Mensch könne sich diese ja nicht gerade, wie es hier angeordnet werde, eigenmächtig selbst nehmen, auch werde derselben später noch insbesondere erwähnt. Er blieb aber fest bei seiner Behauptung und versetzte, der Mensch könne ja die Gnade Gottes verdienen, und daher hänge die Erwerbung derselben allerdings von ihm selbst ab. Darauf gingen wir auseinander. Des nächsten Tages aber teilte mir Lorber mit, er habe sich im Bezuge auf unser gestriges Gespräch angefragt und in der bekannten Weise wörtlich folgende Eröffnung erhalten: „Dass Meine Rede die andern nicht verstanden haben, ist nicht zu wundern, wohl aber, dass auch du sie nicht verstanden hast. Jenes Vergrößerungsglas ist die Demut, deren Begriff viel weiter ist als ihr ihn gewöhnlich nehmt. Sie ist es, die das eigene Ich ganz klein, alles, was außer ihm ist, aber groß erscheinen macht.“

Hierher gehört auch ein Vorkommnis vom 14. Juni 1840. Ich verweilte damals wieder durch einige Zeit bei Lorber, während er an einem in dem schon erwähnten Werke „Geschichte der Urschöpfung“ enthaltenen Reimgedichte weiter zu schreiben fortfuhr. Nachdem er dessen zehnte Strophe (Kap. 32, Vers 6) vollendet hatte, wandte er sich zu mir und sagte: „Jetzt habe ich ein Wort niederschreiben müssen, das ich wahrhaftig selbst nicht verstehe. Was heißt denn das: „Verjahen?“ — Dabei reichte er mir das beschriebene Blatt zur Einsichtnahme hin, und ich sah, dass der Schluss dieser Stanze lautete:

„Würdet ihr dann wohl auch Meiner großen Liebe nahen?
Nein, sag‘ Ich; in alle Zweifel würd't ihr euch verjahen."

Ich erinnerte mich wohl dem Worte schon im Alt- oder Mittelhochdeutschen begegnet zu sein, wusste aber über dessen Begriff nicht augenblicklich Bescheid zu geben. Nachdem ich in den folgenden Tagen mehrere Wörterbücher zu Rate gezogen hatte, fand ich endlich in Wolf-Ziemanns Mittelhochdeutschem Wörterbuche, Leipzig 1838, die Wörter: „jach“, „jahen“, dann die weitere Wortform: „gach“, „gahen“ und endlich auf Seite 544 „vergahen“ mit der Bedeutung „sich zum Schaden eilen, übereilen“, welche für den vorliegenden Fall ganz passte, indem der Schlusssatz dann so viel sagen würde, als: in alle Zweifel würdet ihr euch jäh (gach) stürzen oder in der noch gebräuchlichen Volkssprache: „vergachen“. — Diese Auslegung mag übrigens die richtige sein oder nicht, so liefert dieses doch den besten Beweis, dass Lorber bei seinem Schreiben nicht seiner eigenen, sondern einer fremden Intelligenz Folge geleistet habe.

Einen noch schlagenderen, ja unwiderleglichen Beweis dafür lieferte folgendes Ereignis: Am 25. Juni 1844 gab mir Anselm Hüttenbrenner einen Aufsatz Lorbers zu lesen, welchen dieser zwei Tage vorher niedergeschrieben hatte. Es wurde darin kundgetan, dass Schelling, Steffens und Gustav A. berufen oder vielmehr auserwählt seien, um unter den Protestanten die Gemüter auf das Erscheinen dieser neuen theosophischen Schriften vorzubereiten. Zur Bestätigung dessen waren darin zwei Stellen aus dem Werke Steffens: „Die falsche Theologie und der wahre Glaube“ mit genauer Angabe der bezüglichen Seitenzahlen wörtlich angeführt. — Weder Anselm Hüttenbrenner noch Lorber hatten bis dahin Steffens auch nur dem Namen nach gekannt. Lorber war daher hoch erfreut, als ihm jener, welcher inzwischen im Konversationslexikon von Brockhaus nachgeschlagen hatte, die Mitteilung machte, es gebe wirklich einen Schriftsteller dieses Namens, und dieser habe wirklich ein Werk mit dem angeführten Titel im Drucke erscheinen lassen.

Da ich dieses Werk dieses mir übrigens wohlbekannten Autors ebenfalls nicht kannte, so machte ich sogleich darauf Bestellungen bei der Universitätsbuchhandlung, welche es erst von Leipzig bezog und mir es am 24. Juni einhändigte. Ich übergab es noch am Abende desselben Tages an Anselm Hüttenbrenner und verfügte mich des nächsten Morgens zu ihm, um zu erfahren, welches Ergebnis sich bei der zwischenweiligen Vergleichung der Texte in Druck und Schrift ergeben habe. Er hatte bereits wirklich die von Lorber mit Hinweisung auf die Seiten 5 und 6 angedeutete Stelle im Buche aufgefunden, und ich überzeugte mich selbst, dass sie mit jener in Lorbers Manuskripte angeführten wörtlich übereinstimmte, nur dass in letzterem ein paar Wortversetzungen vorkamen. Die übrigen von Lorber angegebenen Stellen, welche auf den Seiten 109, 129 und 136 des Buches angetroffen werden sollten, hatte Hüttenbrenner darin nicht aufgefunden und auch bei einer von ihm und mir nun gemeinschaftlich wiederholten Suche vermochten wir dort nichts zu entdecken, was mit dem Texte in Lorbers Schrift von Wort zu Wort übereingestimmt hätte, wohl aber trafen wir dort auf Stellen, welche den nämlichen Geist atmeten, in welchem Lorbers Anführungen geschrieben waren. Es bleibt aber bei dem Umstande, da uns nur die zweite Auflage dieses Werkes zur Hand war, doch noch immer die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass sich vielleicht in dessen erster Auflage auch diese Stellen wörtlich vorfinden. Jedenfalls beweist die wörtliche Übereinstimmung der auf den Seiten 5 und 6 wirklich im Drucke vorgefundenen Stelle mit jener in der Handschrift Lorbers, dass er sie unter dem Einflusse einer andern Intelligenz als der seinen niedergeschrieben habe, was freilich allen jenen unbegreiflich, ja als Humbug erscheinen muss, welche diesem Beweise menschlicher Erfahrungswissenschaft hartnäckig Ohr und Augen verschließen.

Bisher hatte Lorber das, was ihm die innere Stimme mitteilte, stillschweigend niedergeschrieben, nun begann er aber, das innerlich Vernommene unmittelbar nachzusprechen. Am 25. Juli 1840 teilte mir Anselm Hüttenbrenner nämlich mit, wir sollten nach Weisung der inneren Ansprache Lorbers durch diesen einen Felsen befragen.

Des nächsten Morgens um 8 Uhr fanden wir beide uns samt noch ein paar Eingeweihten mit Lorber auf dem Schloßberge in Graz ein und wählten zu dem erwähnten Zwecke den hinter dem Winzerhause aufsteigenden Fels, auf dessen Höhe die Westseite des Gebäudes steht, auf welchem damals die Feuerlärmkanonen ihren Standort hatten. Lorber stellte sich dem Felsen gegenüber und diktierte uns, die wir ihm alle nachschrieben, etwa durch eine Viertelstunde. Dann aber wurden wir durch eine zufällige Störung veranlasst, diese Stelle zu verlassen und unser Geschäft in meiner Wohnung fortzusetzen. Lorber hatte, während wir auf dem Berge waren, seinen Blick auf den bezeichneten Fels gerichtet, in meiner Wohnung aber sah er wie träumend vor sich hin und diktierte da ohne Unterbrechung und nur selten ein Wort verbessernd mit ziemlich mäßiger Schnelligkeit, so dass ein gewandter Schreiber ihm wohl mit dem Stifte folgen konnte und nur manchmal beschleunigte er etwas seine Rede. Diese enthielt eine kurze Geschichte der Schöpfung und Entwicklung der Erde, der Erhebung der Berge und insbesondere des bezeichneten Felsen, sowie der Urbewohner des Landes. Als wir gegen 12 Uhr mittags damit zum Schlusse gelangt waren, gestand uns Lorber, er sei anfangs etwas in Besorgnis darüber gewesen, ob dieser Versuch wohl gelingen werde, aber seine innere Stimme habe ihn immer von Neuem ermutigt. Auch fügte er bei, er habe beim Diktieren die Stimme nicht wie sonst in seinem Traum vernommen, sondern es sei ihm gewesen, als lese er alles, was er kundzugeben habe, aus dem Felsen heraus, welchen er im Zimmer lebhaft vor sich gesehen, indem er ihn geistig ganz in sich aufgenommen habe.

Vier Tage darnach fuhren wir zum Ursprung der Andritz, eines reinen Forellenbaches, dessen Quellen in der nordöstlich von Graz, damals noch in romantischer Einsamkeit gelegenen Talbucht am Fuße des Schöckelgebirges aus dem Felsengrunde still emporsteigt und zunächst einen von einer halbverfallenen Mauer eingeschlossenen, damals noch von uralten Lindenbäumen beschatteten, kleinen, klaren Wassertümpel bildet. Lorber diktierte uns dort, während er mit heiterer Miene auf den ruhigen Spiegel des Gewässers hinblickte, durch zwei Stunden tiefsinnige Eröffnungen über das Entstehen und die Herkunft dieser reinen Quelle und über deren Mitwirkung zu Zwecken der physischen und geistigen Welt. Und während der Rückfahrt zur Stadt machte er uns dann noch die Mitteilung: die Naturgegenstände, mit welchen er sich in Verbindung setze, stellten sich ihm stets personifiziert dar, so letzthin der Fels auf dem Schloßberge in der Gestalt eines düstern ernsten Greises und soeben an diesem Tage die Quelle als eine ruhige, ernste Jungfrau.

Auf diese Art diktierte er uns eine Reihe von Erörterungen über verschiedene Gegenstände, wie Wald, Weinstock, Perlenmuschel, Taube u. dgl., deren Behandlung wir ihm ganz willkürlich im Augenblicke zur Aufgabe machten, welche er auch stets ohne alle Vorbereitung zu lösen begann. Hiebei stellte sich merkwürdigerweise heraus, dass diese Kundgebungen, so zufällig die Wahl der ihnen zu Grunde gelegten Gegenstände auch war, doch zuletzt eine fast systematische Darstellung enthielten, wie das Geistige sich allmählig aus der todscheinenden Materie bis zum Höhepunkte seiner Entwicklung, im Menschen, stetig emporringt. Den Schluss fast jeder dieser Aufsätze machte eine sittliche Lehre, welche in dem voraus behandelten Naturgegenstande gleichsam parabolisch versinnbildlicht erschien, daher Lorber diese Reihe von Kundgebungen in der Folge „Evangelien der Natur“ zu nennen pflegte.

Aus dem bisher Gesagten geht nun hervor, dass Lorber vor mehr als fünfundvierzig Jahren ein höchst merkwürdiges Hörmedium war; als was man ihn jetzt, wo die spiritistische Begabung, wenn auch in viel geringerem Grade, bereits tausendfältig aufgetaucht ist, ohne Zweifel erklären würde. Bemerkenswert dürfte auch sein, dass Lorber die innere Stimme, welche er die des Herrn nannte, stets im Herzen, jene anderer Geister aber im Hinterhaupte zu hören behauptete.

Wiewohl Lorber tausende von Bogen mediumisch vollschrieb, kann man ihn doch nicht ein eigenes Schreibmedium nennen, nämlich ein Medium, dem die Hand mechanisch durch eine fremde Intelligenz geführt wird. Er schrieb vielmehr stets selbsttätig nieder, was er von einer fremden Intelligenz ihm eingeflüstert hörte oder wenigstens mit dem Ohre zu vernehmen meinte.

Lorber war aber auch ein Sehmedium. Hiefür lassen sich freilich fast nur seine eigenen Aussagen anführen. Nach den meisten Todesfällen im Kreise unserer Bekannten und Angehörigen erzählte er uns nämlich: er habe die jüngst verstorbene Person gesehen, beschrieb ihr Aussehen, schilderte die Zustände, in welchen sie sich im Jenseits befindet und entrichtete uns nicht selten Grüße und andere Botschaften. Namentlich besuchte ihn oftmals ein weiblicher Geist, der mir im Leben sehr teuer war und noch ist und ließ mir durch ihn Ratschläge und manchmal auch Warnungen zukommen, die sich in der Folge auch in der Tat als nützlich bewährten. Er beschrieb auch die Gestalt dieses Geistes in einer Weise, dass man aus deren allmählig veredelten Äußerlichkeit auch auf dessen fortschreitende geistige Entwicklung schließen konnte. Nach seiner Darstellung erschien ihm dieser weibliche Geist etwa ein halbes Jahr nach seinem Abscheiden von der Erde zum ersten Male mit freundlich heiterer Miene in einem langen hellgrauen Faltenkleide, welches später mit einem purpurnen Saum und einem gleichfarbigen Gürtel um die Mitte des Leibes geschmückt war. Nach dem Verlaufe einiger Zeit zeigte sich das Gewand in hellem Blau, dann in reinem Weiß und zuletzt in schneeigem Glanze. Dabei fiel der Erscheinung das offene Haar frei auf den Nacken herab, bei dem Bewegen wurden in den weiten Ärmeln die schön geformten Arme sichtbar, während die entblößten Füße nur wenig aus dem langen Faltenkleide hervortraten.

Bei einer seiner Visionen gewann ich aber meinerseits die volle Überzeugung von der Tatsächlichkeit derselben. Eines Tages erzählte er mir, in der letzten Nacht, bei hellem Mondenscheine, habe er wieder eine Erscheinung gehabt, die mich angehe. Es sei nämlich plötzlich eine alte Dame von ziemlich kleiner und dabei gedrungener Gestalt in einiger Ferne vor seinem Bette gestanden, welche seltsamerweise beide Augen fest geschlossen gehalten und ihn ersucht habe: er möge mich grüßen und mir sagen, ich soll manchmal an sie denken, es tue ihr wohl. — Ich war über diese Mitteilung ebenso sehr erstaunt als erfreut, denn ich erkannte in der Erscheinung sogleich eine teure, kurz vorher verstorbene Anverwandte, die über 80 Jahre alt und in den letzten Wochen ihres Lebens so schwach in den Augenlidern geworden war, dass sie diese nicht mehr zu erheben vermochte und dadurch so viel als blind war. Lorber hatte diese greise Dame aber schwerlich jemals gesehen, gewiss aber nicht in ihren letzten Lebensumständen, von denen er gar keine Kenntnis hatte. Seine Schilderung, die mit ihrem tatsächlichen Äußern und ihrem Blindheitszustande auffallend übereinstimmte, lieferte daher für die Identität dieses Geistes mit meiner Anverwandten einen schlagenden Beweis.

Auch kamen Fälle vor, wo Lorber zwar nicht als eigentliches Heilmedium, das ist durch eine von ihm selbst ausgehende Heilkraft, sondern nur als sogenanntes medizinisches Medium heilend wirkte, dass er nämlich das von Geistern angeordnete Heilverfahren kundgab, dessen Anwendung dann manchmal von geringem, manchmal aber auch von überraschend günstigem Erfolge begleitet war. So übermittelte er mir am 19. Mai 1852, als ich wie seit einer Reihe von Jahren wieder in das Wildbad Gastein zur Kur abreisen wollte, eine Weisung von Seite jenes liebreich besorgten Geistes, dessen ich zuerst erwähnte. Sie lautete dahin, ich solle in diesem Jahre nur sieben Bäder von nicht längerer Dauer als von höchstens zwölf Minuten nehmen. Die ersten Bäder bekamen mir aber so gut und ich befand mich nach dem siebenten Bade so ausnehmend wohl, dass ich, die erhaltene Mahnung nicht achtend, meinte, es sei doch schade, die in diesem Jahre so trefflich zusagende Badekur vorschnell, und abgesehen von jener unverbürgten Mahnung, ganz ohne Grund abzubrechen. Ich setzte dieselbe also fort. Das achte Bad schien schon weniger gut anzuschlagen, und nach dem neunten bekam ich Eingenommenheit des Kopfes und Schmerzen in den Zähnen, verlor Schlaf und Appetit und fühlte mich im Ganzen so unwohl, dass ich den Badearzt Dr. von Hönigsberg zu Rate zu ziehen für nötig fand. Dieser untersuchte meinen Zustand und verordnete, dass ich den Gebrauch des Bades durch ein paar Tage aussetzen und dann wieder kommen soll. Ich tat wie er mir geraten hatte und stellte mich dann wieder bei ihm ein. Er wiederholte seine Untersuchung und sagte darauf: „Gehen Sie nicht mehr in das Bad. Sie haben für dieses Jahr genug. Ihre Natur ist gesättigt.“ Ich befolgte seinen Rat, atmete noch einige Tage die herrliche Alpenluft, reiste dann ab und genaß das nächste Jahr hindurch der besten Gesundheit, als hätte ich wie gewöhnlich meine ganze Badekur pünktlich durchgemacht. In den darauf folgenden zwei oder drei Sommern nahm ich in den berühmten Quellen wieder meine üblichen 21 bis 25 Bäder mit dem besten Erfolge. In einem der späteren Jahre erhielt ich aber durch Lorber wieder die Geistervorschrift, in diesem Jahre nur neun Bäder zu nehmen. Allein das behagliche Gefühl erhöhter Lebenskraft, welches sich nach den gestatteten neun Bädern eingestellt hatte war so groß, dass ich, Schwachgläubiger, mich dadurch neuerlich zur Fortsetzung des Badegebrauches verleiten ließ, leider mit dem gleichen Misserfolge wie im ersten Falle. Nach dem elften Bade fanden sich nämlich alle jene Übelstände ein, welche damals hervorgetreten waren, und der Badearzt verbot mir auch dieses Mal, meine Natur noch ferner mit dem Gasteiner Agens zu überladen. Die elf Bäder äußerten aber das folgende Jahr über dieselbe gedeihliche Nachwirkung, wie sonst der gewohnte dreiwöchentliche Kurgebrauch.

Ein anderes Mal litt ich längere Zeit an einer Nervenschwäche, welche nicht nur meine körperliche Integrität angriff, sondern auch mein Gemüt niederdrückte und selbst meine geistigen Funktionen benachteiligte, indem eine gewisse Zweifelsucht und Ängstlichkeit mich in der Führung meiner Privat- und Amtsgeschäfte in peinlicher Weise hinderte und beeinträchtigte. Lorber, hierüber um Rat ersucht, erhielt hierauf durch seine innere Stimme folgendes Heilmittel für mich: „Nimm roten, ungerichteten (Natur-)Wein und Olivenöl, das rein ist, und reibe dir damit morgens und abends die Brust, den Rücken, das Genick, am Abend aber auch das Haupt und ganz besonders die Schläfen im Glauben und Vertrauen auf den Herrn ein; doch sollst du in dieser Zeit dich vom Kaffee und schlechten Weine enthalten.“ Nachdem ich dieses Heilmittel durch vier oder fünf Tage angewendet hatte, fühlte ich mich an Leib und Seele wieder so gekräftigt, dass ich bei wiedergewonnener Heiterkeit, Entschlossenheit und Tatkraft allen meinen Obliegenheiten mit gehobenem Mute wieder wie sonst entsprechen konnte. Die gleich günstige Wirkung äußerte diese, wie Lorber sie fernerhin nannte, „evangelische“ Salbe auch später zu wiederholten Malen, wenn ich sie in langen Zwischenräumen gegen ähnliche Rückfälle oder beim Eintritte lediglich körperlicher Schwächezustände an einem vor Jahren verletzten Fuße in Anwendung brachte. Zur Steuer der Wahrheit muss ich hier beifügen, dass ein anderes Heilmittel, welches er mir für dieses Fußübel empfahl, entweder wegen der zu starken Dosis der angeordneten Medikamente oder wegen der von mir zu heftigen Anwendung desselben ungünstig wirkte.

Endlich ereignete sich auch ein Fall, welcher vermuten lässt, dass Lorber auch die Beschäftigung gehabt habe, sich zum Materialisations-Medium, wie man dies neuestens nennt, auszubilden. Er bewohnte damals ein Zimmer zu ebener Erde in der Wickenburggasse, in welchem sein Schreibtisch unmittelbar an dem Fenster stand, in dessen Nähe sich rechts die Eingangstüre befand. Eines Tages, so erzählte er mir, als er eben am Tische saß und schrieb, stand plötzlich ihm zur Seite rechts zwischen Tisch und Tür eine weibliche Gestalt in der damals gewöhnlichen Kleidertracht und lächelte ihn, als er von der Feder aufsah, freundlich und gleichsam erfreut an, wie jemand, dem eine beabsichtigte Überraschung geglückt ist. Er erkannte in dieser Gestalt seine ehemalige Schülerin R ., ein junges Mädchen, welches von ihm Unterricht im Gesang genommen und sich als Sängerin der Bühne gewidmet hatte, vor einiger Zeit aber gestorben war. Als sie die Miene des Erstaunens, mit der er sie anstarrte, bemerkte, sagte sie: „Ja, ja, ich bin‘s! Fass mich nur an!“ Und als er damit zögerte, wiederholte sie ihre Aufforderung dringend: „Nun, so fass mich nur an!“ — Als Lorber ihr hierauf endlich Folge leistete, fühlte er tatsächlich den elastischen Widerstand eines menschlichen Körpers, aber als er diesen kaum wieder losgelassen hatte, war die ganze Gestalt auch plötzlich schon verschwunden.

Ich war über diese Erzählung ganz verblüfft, getraute mich aber nicht, dem Erzähler, der dazu selbst eine geheimnisvolle Miene der Verwunderung machte, dagegen etwas einzuwenden und ließ die ganze Sache, die ich mehr für eine Sinnestäuschung als für eine wirkliche Tatsache anzusehen geneigt war, stillschweigend auf sich beruhen, indem ich wohl wusste, dass Lorber durch jeden Zweifel, den man in seine Worte setzte, sich gekränkt fühlte. Erst in der neuesten Zeit, als von allen Seiten, zumal aus England und Amerika, häufige Nachrichten von tastbaren, plastischen Geistererscheinungen einliefen und berühmte Gelehrte nicht nur aus eigenen Ländern, sondern auch in Deutschland für deren Wirklichkeit Zeugnis ablegten, erinnerte ich mich wieder jener Erzählung Lorbers, und sie gewann in meinen Augen jetzt nun umso mehr an Bedeutung, als der Gegenstand derselben durch die jetzigen, gleichartigen Phänomene auffallend bestätigt und somit zugleich dargetan wurde, dass für Jakob Lorber auch in dieser Art der Mediumschaft der Vorrang der Priorität vor andern, namentlich vor den amerikanischen Medien, welche erst Jahrzehnte darnach aufgetreten sind, in Anspruch genommen werden könne.

Anhang

Beglaubigte Mitteilungen über Lorber nach schriftlichen Aufzeichnungen einer Zeitgenossin

Man hat eine Menge merkwürdiger Berichte über Jakob Lorber, deren Übereinstimmung mit der Wahrheit mehr oder weniger festgestellt ist. Mehrere von diesen fallen wirklich in das Gebiet des Wunderbaren und Übernatürlichen. Hier will ich einige Episoden aus dem Leben Lorbers folgen lassen, damit die Menschen sehen, wie der gute Vater im Himmel die Seinen beschützt, leitet und führt.

Nicht einsam und freudlos ging Lorber durchs Leben, denn er hatte Anhänger aus den besten Familien. Dieselben haben ihn in seinem göttlichen Schreiben auch bewacht und strenge geprüft, was für die Nachkommen besonders gut war; denn nun darf niemand sagen, dass die Worte, die zu ansehnlichen Werken wurden, nicht göttlichen Ursprunges sind. Seine besten Freunde und treue Anhänger waren die Herren Dr. Justinus Kerner, Dr. Ch. F. Zimpel, der Bürgermeister von Graz, Anton Hüttenbrenner, dessen Bruder, der Komponist Anselm Hüttenbrenner, der Dichter und steirische Ständesekretär Karl Gottfried R. v. Leitner, Dr. Anton Kammerhuber und Leopold Cantily, sowie mehrere andere, darunter war auch eine hochgeschätzte Dame, die Grazer Hausbesitzerin Frau Antonia Großheim, von welcher die nachfolgenden kurzen Histörchen mir persönlich überliefert wurden:

Meistens haben sich die Obgenannten zur Schreibzeit bei Lorber eingefunden und ihn dabei genau beobachtet, ob er nicht irgend ein Buch habe und daraus Abschriften mache; denn besonders die Frau Großheim war nicht leichtgläubig, weshalb sie genau und strenge selbst in Lorbers Tischlade und Kasten Nachschau hielt, ob er nicht Bücher oder Schriften zur Verfügung halte. Aber er hatte keine Hilfsquellen; sein einziges Buch, das er hatte, war die Bibel.

Wenn er ein Heft ausgeschrieben hatte, was oft mitten im Satze der Fall war, so nahm der eine oder der andere Freund das Heft mit, um es durchzulesen. Wenn dann des andern Tages der Schreiber das nächste Heft benützte, so fing der Wortlaut genau dort an, wo das frühere Heft geendet hatte, so dass keine Störung im Satzgebilde vorkam. Als Lorber schon mehrere Hefte vollgeschrieben hatte, erhielt auch ein gewisser Johannes Busch, nachmaliger Herausgeber und Begründer des jetzigen Neusalems-Verlages mit der Buchdruckerei, Nachricht von den Werken, die Lorber niedergeschrieben hat, und er kam, um ihn selbst persönlich kennen zu lernen, nach Graz. Er glaubte schon nach dem Gehörten an die Echtheit der Schriften, und als er in Graz ankam und die Wohnung Lorbers erfragt hatte, so warf er sich schon vor der Türe Lorbers auf die Knie und betete und seufzte. Lorber, der gerade in der Bibel las, horchte auf, und als das Geseufze kein Ende nahm, machte er die Türe auf und war natürlich ganz erregt, einen fremden Mann vor seiner Türe knieen zu sehen und seufzen zu hören und frug ihn: „Was ist denn das, was soll das heißen? Stehen Sie auf und sagen Sie mir, was Sie da tun und wollen!“ Da sagte der Mann — es war Joh. Busch —: „Sind Sie der heilige Prophet Lorber, der die schönen Worte schreibt?“ Da antwortete Lorber: „Der Lorber bin ich wohl, aber ein heiliger Prophet bin ich nicht. — Kommen Sie herein, dann können wir ungestört über die Worte sprechen und Sie können zugegen sein, wenn ich vom Herrn zum Schreiben berufen werde.“

Lorber hatte das an sich, dass er, wenn er im Affekt sprach oder fragte, besonders das erste Wort hervorstotterte, sonst aber stotterte er nicht. Die beiden, nämlich Lorber und Busch, besprachen sich hierauf lange und öfter miteinander und Busch erbot sich dann, die Schriften drucken zu lassen, was er auch getan hat. Er war also der Begründer der jetzt in Bietigheim (Württemberg) bestehenden Druckerei für Lorbers Werke, und es befinden sich dortselbst die damals hingeschafften Originalmanuskripte Lorbers wohlverwahrt.

Es war trotz aller Vorsicht doch unter die Leute gekommen, dass Lorber geheimnisvolle Sachen schreibe, und es wurde ihm mit der Polizei gedroht. Da hat nun dann wieder Frau Großheim eingegriffen und geholfen. Es wurden die Hefte in mehrere Säcke gepackt und in der Holzlage der Frau Großheim hinter dem Holz so lange verborgen und dort gelassen, bis das Gerede verstummte. Als das der Fall war, wanderten die Hefte wieder zum Schreiber.

Lorber bemeisterte die Violine in freier Komposition. Wenn er zum Spielen angeregt wurde, da kam es dann oft vor, dass er dabei seiner Liebe zum Herrn freien Lauf ließ, was in dem wunderbaren Violinspiel derart zum Ausdrucke kam, so dass nicht nur ihm die Tränen über die Wangen liefen und sein Gesicht ganz glänzend wurde, sondern auch die Zuhörer so ergriffen waren, dass sie weinen mussten vor Liebe und Glück.

Lorber war von seinem Vater aus nicht ganz arm; er hatte ein Vermögen von 12.000 Gulden, was zur damaligen Zeit ein großes Vermögen war, geerbt, aber er war so gut, dass er nie Geld hatte. Sein Erbe borgte er seinem Bruder auf Nimmerwiedersehen, und wenn er sich etwas verdiente, so fand sein Geld bei Armen schnellen Absatz. So hatte er einst 30 Kreuzer in einer Schachtel in der Tasche, als er gerade seiner Beschäftigung — zu einem Abendkonzert — nachging. Da begegnete ihm ein reisender Handwerksbursche und bat ihn um eine kleine Gabe. Er gab demselben sein ganzes Geld, und als er nach Hause kam — fand er in der Schachtel die 30 Kreuzer wieder!

Wie oft ist es vorgekommen, dass er zur Frau Großheim kam und sagte: „Liebe Großheim, ich habe heute noch nichts gegessen.“ Da machte sie schnell Feuer, kochte ihm eine Suppe, damit er doch etwas Warmes in den Magen brachte, und wenn sie es hatte, gab sie ihm auch Brot dazu. Sie stand im brieflichen Verkehre mit einem Herrn Krapohl, der früher in J. lebte. Durch ihn wurde sie mit dem Pfarrer aus J. in brieflichen Verkehr gebracht, und derselbe wollte sie, angeregt durch ihr geistiges Wissen, kennen lernen, kam nach Graz, suchte sie auf und wurde durch sie auch mit Lorber bekannt und auch mit einem Grazer Israeliten, der öfter zur Großheim kam, und dem sie auch von den Schriften Lorbers viel erzählte. Eines Tages kamen wieder alle drei — nämlich Lorber, der Herr Pfarrer und der Israelit — bei der Schwester Großheim zusammen, und da kam die Sprache auf die diktierten Schriften, und Lorber erzählte viel aus denselben. Da sagte der Pfarrer „Mann, Sie sind ein Erwählter Gottes, Sie sind ein Prophet!“ Auch der Israelit stimmte bei. Da fielen sich alle drei in die Arme, umschlangen sich und wurden gute Freunde. Nun musste Lorber erzählen, erzählen vom Anfang seiner Berufung bis zur selben Zeit. Alle weinten Freudentränen und dankten dem Herrn, dass sie sich gefunden hatten. Der Israelit hatte das Herz so voll, dass er vor seinen Glaubensgenossen nicht schweigen konnte. Diese hassten ihn darum, dass er abgefallen war. Der Herr Pfarrer wurde später Beichtvater einer weltbekannten Persönlichkeit.

Einst kam ein vornehmer Herr zu Lorber und machte ihm Vorwürfe, dass er sich als im Verkehr mit dem Herrn stehend ausgibt, und gab ihm, dem Lorber, ein oder zwei Ohrfeigen; dann ging er fort. Er ging, als er Lorber verlassen hatte, in eine Mühle — und dort wurde ihm die rechte Hand abgerissen. Ein anderes Mal kam auch ein Mann zu Lorber und sagte höhnisch: „Sie sagen, dass Sie ein Prophet sind?! Jetzt gehe ich gleich und werde Sie bei der Polizei anzeigen!“ Der Mann ging in die Raubergasse (dort war früher der Sitz der Polizei) und dort wurde er auf der Gasse vom Schlage getroffen und war sogleich tot.

Auch Lorber hatte einmal mit dem Herrn gehadert. Das war so: Der Winter war vor der Tür und es war schon empfindlich kalt, und Lorber hatte — wie so oft — kein Geld, um Holz zu kaufen. Die Finger waren ihm ganz steif. Da sagte er: „Herr, wenn Du willst, dass ich schreiben soll, so musst Du mir auch Holz verschaffen; denn bei der Kälte kann ich nicht schreiben.“ Er legte die Feder weg und schrieb nicht. Da pochte es an der Tür. Lorber ging und öffnete, um nachzusehen, wer es sei. Da stand ein Bauer draußen und sagte „San Sie der Herr Lorber?“ „Ja, der bin ich.“ „‘s Holz ist do.“ „Was denn für Holz?" „Dos, wos ich doher bringen sull. Wo soll is denn oloden?“ „Ich habe ja keines bestellt.“ „Na, wenn Sie der Herr Lorber san, der auf dem Zettel steht, dann g’hört ‘s Holz do her und wenn Sie ‘s net woll‘n, so führ‘ i ‘s wied'r ham.“ Lorber sah den Zettel an und da die Adresse recht war, so sagte er: „Na, in Gottes Namen, laden Sie es ab!“ Lorber sagte ihm, wo er abladen sollte und hatte dann Holz für den Winter, so dass er wieder schreiben konnte. Durch Nachfragen erfuhr er dann, dass ihm dasselbe sein Freund und Gönner Ritter von Leitner gesandt hatte.

Nachstehend noch ein Brief Lorbers an den bereits genannten Johann Busch vom Jahre 1855, welcher über Lorbers Seelenleben beredten Aufschluss gibt.

Nach geschäftlichen Mitteilungen ergreift der Herr das Wort und diktiert durch die Hand Lorbers: „Mein lieber Freund, du suchst Mich, weil du Mich lieb hast, und ein Leichtes ist es darum dir, Mein Gebot der Liebe lebendig wirksam zu befolgen.

Siehe, die Menschen erfinden nun allerlei und glauben auch allerlei, und Menschen, die recht viel erfunden haben, glauben am Ende an gar nichts mehr — außer an das, was sie erfunden haben und welch möglich größten Gewinn es ihnen abwirft! Das sind Kinder der Welt, die in manchem oft klüger sind, als die Kinder des Lichtes!

Aber Meinen wahren Herzenskindern gebe ich dennoch ganz andere Dinge, von denen den klugen Weltkindern nie etwas in ihren verdorbenen Sinn kommen wird! Siehe! Mein Knecht (Lorber) ist wahrlich Mir zulieb arm; denn er könnte sehr reich sein, da er als Tonkünstler auch durch Meine Gnade die eminentesten Fähigkeiten dazu besitzt. Aber er schlägt Anstellung und sehr vorteilhafte Anträge aus — alles aus sehr großer Liebe zu Mir; und hat er 2 Gulden Geldes, so begnügt er sich mit 40 Kreuzern und 1 Gulden 60 Kreuzer verteilt er unter die Armen.

Darum habe Ich ihm auch alle Schätze der Himmel eröffnet; jeder noch so weit entfernte Stern ist ihm so bekannt wie diese Erde. Er kann mit dem Auge des Geistes jene beschauen und bewundern nach Herzenslust; aber ihn kümmert nun derlei wenig, weil Ich ihm alles in allem bin!

Und siehe, das ist der allein rechte und richtige Weg zu Meinem Herzen.

Der reiche Jüngling im Evangelium beachtete gerne das Gesetz von Jugend an und sollte dadurch auch das ewige Leben haben, aber es kam ihm vor, als hätte er solches noch nicht. Er kam darum zu Mir und fragte, was er tun solle, um das ewige Leben zu erreichen. Und ich sagte ‚Halte die Gebote!‘ Er aber beteuerte, solches von Kindheit an getan zu haben! ‚Freund‘, sagte ich, ‚willst du mehr, so verkaufe deine Güter, verteile den Erlös unter die Armen, dann komme und folge Mir, und des Himmels Schätze werden dir zu Gebote stehen!‘ Siehe, dieses aber sage Ich jedem nun: ‚Wer von mir vieles haben will, der muss Mir auch vieles opfern — wer aber alles haben will, nämlich Mich selbst, der muss Mir auch alles opfern, auf dass wir eins werden.‘

Du aber hast Mir schon vieles geopfert und sollst auch darum vieles bekommen!

Die reine uneigennützige Liebe aber ist vor Mir das Höchste! Dies Wenige, Freund, zu deinem Trost. Amen.“

Nachschrift Lorbers: „O Freund! Auf diese Worte muss ich verstummen! J. Lorber.“

Anmerkungen

Karl Gottfried v. Leitners Lebensskizze

Karl Gottfried v. Leitner

Der Verfasser der vorstehenden einzigen ausführlichen Lebensbeschreibung Jakob Lorbers ist der deutschösterreichische Dichter Karl Gottfried R. v. Leitner, der mit Lorber nahezu ein Vierteljahrhundert hindurch freundschaftlich verkehrte. Da dem heutigen Geschlechte Leitners Name, trotzdem er dereinst unter den hervorragendsten deutschen Poeten Österreichs ehrenvoll genannt wurde, fremd geworden und der Dichter leider in Vergessenheit geraten, so mag eine ganz kurze Darlegung von dessen Lebenslaufe hier ihre Stelle finden. Eine solche Darlegung erscheint für die Leser der gebotenen Biographie Lorbers umso notwendiger, als diese damit zugleich den edlen Charakter des Dichters kennen lernen, dem neben seinen idealen Schöpfungen die Wahrheit über das in einem langen Leben Beobachtete und Mitgeteilte als höchstes Streben galt.

Karl Gottfried Ritter von Leitner, der Abkömmling eines seit dem 17. Jahrhundert durch den rittermäßigen Adel ausgezeichneten Geschlechtes, war am 18. November desselben Jahres 1800 wie Lorber zu Graz als Sohn eines landständischen Rechnungsrates geboren, der auch literarisch tätig hervortrat. Schon 1805 starb aber der Vater, und die Mutter vermählte sich 1807 zum zweiten Male. Leitner vollendete die Gymnasialstudien zu Graz und hatte sich dem Studium der Rechte zugewendet, zeigte aber besondere Vorliebe für die Geschichte der heimatlichen Steiermark und wollte daher sich in der Folge dem Lehrberufe auf diesem Gebiete widmen. Er hatte auch tatsächlich schon 1824 und 1825 provisorische Lehrstellen an den Gymnasien zu Cilli und Graz bekleidet. Da er aber inzwischen Gedichte und Novellen veröffentlicht, die von besonderer Begabung zeugten, wurden angesehene heimische Dichter und Gelehrte, wie insbesondere Johann v. Kalchberg und der Orientalist Hammer-Purgstall auf ihn aufmerksam und, durch diese Persönlichkeiten gefördert, kam Leitner in den Dienst der steiermärkischen Stände. Er wurde 1835 zweiter und 1837 erster ständischer Sekretär und trat 1854 als solcher wegen seines angegriffenen Gesundheitszustandes in den Ruhestand. Nachdem er sich 1846 vermählt hatte, traf ihn das Unglück, seine geliebte Gattin Karoline zu verlieren, mit der er 1854 eine Reise nach Italien unternommen und die plötzlich in Pisa starb. Erzherzog Johann, der so hoch verehrte Förderer jedes Kulturfortschrittes in Steiermark, ernannte Leitner 1858 zu einem der drei Kuratoren des von dem Fürsten in Graz gegründeten berühmten Joanneums. Leitner hatte in seinen Mannesjahren verschiedene Reisen in Österreich und nach fremden Ländern unternommen, seinen Wohnsitz aber stets in Graz beibehalten. Er stand mit geistig hochbedeutenden Persönlichkeiten Österreichs, zumal des nicht fernen Wien, das er selbst häufig besuchte, in Verbindung. So insbesondere auch mit den Dichtern J. G. Seidl, Anastasius Grün (Graf Auersperg) und Grillparzer, der den Steirer Poeten überaus hoch schätzte und in Graz einige Male besuchte.

Leitners Gedichte und novellistische Stücke sind in Zeitschriften und den damals üblichen Taschenbüchern seit 1820 erschienen. Im Jahre 1825 gab er eine Sammlung „Gedichte“ in Wien heraus, welcher erst im Jahre 1857 die zweite allerdings fast um das Dreifache vermehrte Auflage folgte. Einen Band anmutiger Poesien bot er im Jahre 1870 unter dem Titel „Herbstblumen“ (Stuttgart) und sein letztes Buch „Novellen und Gedichte“ (Wien) im Jahre 1880. Ein Drama: „König Tordo“ kam 1830 in Graz zur beifälligen Aufführung, auch hat er mehrere andere dramatische Dichtungen verfasst. Auch historische, topographische und biographische Arbeiten sind von ihm veröffentlicht worden, namentlich eine vortreffliche Biographie Erzherzog Johanns im Jahre 1860. Die größte Bedeutung aber hat Leitner als lyrischer und epischer Dichter erlangt, seine zarten, innigen Lieder zählen zu den schönsten der gleichzeitigen österreichischen Poeten, seine Balladen und erzählenden Dichtungen sind vielfach mustergültig, Innigkeit und Gedankentiefe vereinigen sich in Leitners Gedichten mit schöner, anmutiger Form. Der Dichter hat bis in die letzten Tage seines langen Lebens das poetische Schaffen fortgesetzt und manche sinnige Liederschöpfung findet sich in seinem Nachlasse. Er ist im 90. Lebensjahre 1890 in Graz gestorben.

Eine umfassende Auswahl der schönsten seiner Gedichte mit Einbeziehung des Nachlasses und einer größeren biographischen Einleitung hat Reclams schätzbare Universalbibliothek (Nr. 5091—5093) im Jahre 1909 herausgegeben. Eine besonders ausführliche Lebensbeschreibung des Dichters, die auch seiner Beziehungen zu Jakob Lorber gedenkt, ist im 51. Band der „Allgemeinen deutschen Biographie“ (Leipzig 1906) enthalten. Biographien Leitners finden sich auch in Goedekes „Grundriss der deutschen Dichtung“, in den „Mitteilungen des historischen Vereines für Steiermark“ (von Franz Ilwof verfasst) und anderwärts in literarhistorischen Werken.

In welcher Weise der edle Dichter mit Jakob Lorber bekannt wurde und wie er diesen hochhielt, geht aus der hier vorgelegten Lebensbeschreibung dieses denk- und verehrungswürdigen Mannes hervor. Leitner hatte Materialien für eine Art von biographischem Sammelwerke steirischer Dichter, Künstler und Gelehrter lange Jahre hindurch gesammelt und manches davon auch schon ausgearbeitet. So genau und umfassend aber wie der Lebensgang Lorbers ist keine seiner diesbezüglichen Arbeiten von ihm ausgeführt worden. Leitner hat dieses Lebensbild etwa in seinem 84. Lebensjahre abgefasst. Der Inhalt desselben entspricht bei der unentwegten Wahrheitsliebe des greisen Verfassers in jeder Zeile dessen genauen und unbeeinflusst gemachten Beobachtungen.

Karl Gottfried R. v. Leitners eigene religiöse Überzeugung geht am besten aus einem Briefe hervor, der am 28. April 1889 an einen Verwandten gerichtet, hier gleichfalls zum ersten Male im Auszuge mitgeteilt sei, da dieses Schreiben, ohne ihn namentlich anzuführen, doch auch Lorbers gedenkt und auf dessen Persönlichkeit hinwies, die der damals 89-jährige Dichter in verehrender Weise noch kurz vor seinem eigenen Lebensende darin hervorhebt. „Die Religion ist“, führt er in diesem Briefe an, „weit mehr die Sache des Herzens als jene des Kopfes, denn es ist uns ja gesagt: Gott ist die Liebe. Diese Lehre und die zwei Gebote: Liebe Gott über alles und den Nebenmenschen wie dich selbst, sind die Grundlagen alles Christentums. Das letzte Gebot befolgt auch die rationelle Humanität der Neuzeit, aber sie will von dem nichts wissen, den sie über alles lieben soll; darum ruht auf ihren Schöpfungen kein wahrer Segen. Ich bekenne mich seit 40 Jahren zu einer Richtung christlichen Wesens, welche den obigen Grundlehren entspricht, denen alle äußeren Zeremonien unwesentlich sind.

Ich wurde in dieser die meisten Rätsel des Lebens lösenden Weltanschauung vor 48 Jahren durch einen Freund eingeführt, einen einfachen Gott liebenden und suchenden Mann, welchem damals die Gnade zuteil wurde, vom Herrn selbst durch eine in seinem Herzen ertönende Einsprache Kundgebungen zu erhalten, die er durch 24 Jahre wörtlich niederschrieb, bis er im Jahre 1864 aus der Zeitlichkeit abberufen wurde. Während dieser ganzen Zeit war ich beobachtender Zeuge dieses außerordentlichen Ereignisses. Seither erschienen alle diese zahlreichen Schriften, größtenteils nach dem Tode des Sehers, durch fremde Herausgeber im Druck. – – –

Alle diese neutheosophischen Schriften bezwecken nur, das Urchristentum wieder, und zwar unserer vorgeschrittenen Bildung gemäß, zu erneuern. – – –

Du wirst für hier und dort recht und genug getan haben, wenn Du an dem Glauben an Jesus Christus dem Herrn festhältst, ihn über alles, Deinen Nächsten aber wie Dich selbst liebst; denn in diesen zwei Geboten ist, wie der Evangelist schreibt, das Ganze gesetzt und sind alle Propheten enthalten.“ —

Soweit Leitners Brief, dessen übrige familiäre Mitteilungen an dieser Stelle weiter keine besondere Bedeutung haben. Die religiöse Denkweise des Dichters ergibt sich aber aus den wörtlich angeführten Stellen auf das Klarste und Deutlichste.

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